Bulletin für Jugendliteratur

Was macht historische Themen so interessant für Sie? Wie finden Sie Ihre Themen - oder finden Ihre Themen eher Sie....? Was inspiriert Sie?
 
Nehmen wir zum Beispiel den historischen Krimi "Hannah und der Schwarzkünstler Faust", das ist ein Roman über den Doktor Faust, der wirklich gelebt hat.(1480 - 1540) Zuerst einmal hat dieser Doktor Faust immer wieder mich "gefunden": Goethe, Heine, Thomas Mann, Volksbuch ... unaufhaltsam und sogar mit einer gewissen Penetranz. Und als ich das Faust -Theaterstück von Marlowe als Puppenspiel (Roman: Die Hexenkinder von Seulberg) auf dem Marktplatz von Homburg aufführen ließ, war ich nur noch besessen von der Frage: Wer war dieser Schwarzkünstler eigentlich wirklich? Was hat die Geschichtsschreibung und Literatur aus ihm gemacht? Wie war die Zeit, als er mit Ochsenkarren oder Pferdekutsche durch die Lande zog? Als der Himmel noch in Schalen aufgeteilt war, die Scheiterhaufen brannten und die Magier auf der Suche nach dem Stein der Weisen waren. Als Segelschiffe aufbrachen, um neue Kontinente zu entdecken, die Bauern mit Mistgabeln den Aufstand wagten und Luther seine Thesen formulierte. Was hatte Faust damit zu tun? Je mehr ich las, recherchierte und Zeitgeschichte studierte, desto unaufhaltsamer tanzten unwirkliche Bilder durch meinen Kopf, nahmen Form an, bis ich nur noch beschreiben musste, was ich da sah, roch und fühlte. Schreiben ist schlussendlich für mich eine tiefe Meditation, die mich in andere Zeiten führt.
 
Manchmal gibt es Themen, Situationen, Menschen, die sich in meiner Gedankenwelt so breit machen, dass sie mich erst wieder loslassen, wenn ich ihre Geschichte niederschreibe. Faust gehört dazu und wirkt weiter: Im Rahmen der nächsten Bad Hersfelder Festspiele bekomme ich für ein eigenes Projekt mit Teufelsanrufungen des 16. Jhds. (MP3-Installationen) /Animationen/ Projektionen /Ausstellung und Lesung eine Woche lang ein "Faustzimmer" zur Verfügung gestellt.
 
Oft liegen zwischen dem Erscheinen Ihrer Romane nur wenige Monate. Wie schaffen Sie es, innerhalb so kurzer Zeit die historischen Hintergründe zu recherchieren? (haben Sie eine spezielle "Technik", eine besondere Herangehensweise - oder ist das von Buch zu Buch verschieden?)
 
Das ist nicht ganz richtig. Zwischen dem Erscheinen der Originalausgaben meiner historischen Romane liegt bestimmt ein Jahr. Es mag sein, dass sich die Veröffentlichung aus verlagsinternen Gründen etwas verzögert, wie z.B. jetzt bei dem "Schlangenpapyrus" - das ist ein historischer Krimi über den ersten Brand der Bibliothek in Alexandria - und sie dadurch zeitlich näher an das Erscheinungsdatum des nächsten historischen Romans heranrückt. Aber so ein Buch lässt sich nicht einfach aus dem Boden stampfen. Zuerst einmal brauche ich ja Zeit, um die fiktive "Familie" meines letzten Romans, die in meinem Kopf weiter lebt, die ich liebe und hasse!!! (z.B. den Henker und Folterer aus den "Hexenkindern") und mit denen ich lange gelebt habe, wieder loszulassen. Deshalb schreibe ich nach einem Historienbuch gerne etwas völlig anderes, vielleicht einen satirischen Roman für Jüngere, der etwas "leichtfüßiger" daherkommt. Danach kann ich mich wieder auf ein historisches Thema einlassen. Dann brauche ich Zeit, um Figuren für mich lebendig werden zu lassen. Wenn mein Verlag, der Carlsen-Verlag und ich uns für ein Thema entschieden haben, recherchiere ich zuerst einmal detaillierter im Internet, ersteigere über Ebay Fachbücher zu dem Thema, bzw. über ZVAB, zeichne langfristig Dokumentationen im Fernsehen auf, nehme Kontakt zu Fachleuten (Universitäten) auf etc. und arbeite auch vor Ort. Nehmen wir wieder den Faust-Roman: da habe ich die einzelnen Städte besucht, in denen er nachweislich gelebt hat (Erfurt, Gelnhausen, Knittlingen, Kloster Maulbronn, Würzburg, Bad Kreuznach, die Ebernburg etc. etc.) durchforstete Archive, nahm an Stadtführungen teil, um die Stadt im 16. Jahrhundert kennen zu lernen etc. So entwickelte sich aus einem Plot allmählich ein Gesamtbild, das wie ein Puzzle immer farbiger und durch entsprechende Details immer spannungsvoller wurde.
 
Gibt es eine Ära/ein Jahrhundert, die/das Sie ganz besonders fasziniert? Und falls ja, warum gerade diese/s?
 
In erster Linie reizen mich die einfachen Menschen, die gelebt haben, Raubritter, Vaganten, Dirnen, und die kleinen "Helden" und "Heldinnen", denen in der Geschichtsschreibung kaum Platz eingeräumt wird. Was hatten sie für Konflikte, für Leidenschaften, für moralische Kategorien? Wieso kam es zu einem Mord? Welche Rolle spielte die Kirche, der Aberglauben, der Konflikt zwischen Religionen? D.h. ich muss mich sehr intensiv mit der "Kulturgeschichte des Alltags" auseinandersetzen, die - wie Umberto Eco sagte - in historischen Romanen eine entschieden wichtigere Rolle einnehmen sollte. Wenn erst einmal meine eigene Neugierde angestachelt ist, wenn mich ein historisches "Bild" absolut fasziniert, kann ich mich auch auf eine Ära einlassen, mit der ich mich noch nicht auseinandergesetzt habe.
 
Verraten Sie uns, woran Sie aktuell arbeiten?
 
Es ist ein Krimi und spielt im frühen 16. Jahrhundert. Ich habe Dokumente über ein Zisterzienserinnenkloster hier im Taunus gefunden, in dem auch Töchter von Raubrittern untergebracht waren. Dieses Kloster lebte vom Ablasshandel, hatte Kontakt zu Burgen und Wallfahrtskirchen, die öfters ausgeplündert wurden... Am Ostermarkt wird die Leiche eines Ermordeten aus einem reißenden Bach gefischt...
 
Verräterische Spuren führen über die Handelswege in das aufblühende Frankfurt, wo Händler mit ihren Karren in den engen Gassen der Altstadt während der Buchmesse geheime Schriften und Bücher anbieten...